Persönliche Anmerkungen zum "Sozialen Design"

Viktor Matejka

Aus: Institut für soziales Design Entwicklung und Forschung ISD: Soziales Design. Ziel, Aufgaben, Entwicklung, Projekte, Initiativen. Herausgegeben anläßlich des 10-jährigen Bestehens des Instituts für soziales Design, Wien 1985, S. 23-26

Im November 1985 hatte Hans Hovorka mit dem ehemaligen Kulturstadtrat von Wien – Viktor Matejka – ein Gespräch geführt, dem die folgenden Aussagen entnommen sind. Matejka erweist sich auf seine Weise als Mitdenker des Arbeitsprinzips Soziales Design und hat auf diesem Gebiet manches angeregt und entsprechende Handlungen gesetzt. Es freut die Mitarbeiter des Instituts, seine problem- und alltagsbezogenen Vorstellungen zu einer menschengerechten Planung und Gestaltung in dieser Broschüre abzudrucken.

Die Weltgeschichte ist eine Geschichte von Veränderung und Wandel. Es bleiben zwar viele Dummheiten gleich, ewige Dummheiten, Beschränktheiten verkrampfen sich zu Tabus. Soziales Design kann viel zur Enttabuisierung beitragen. Auch wenn mit beharrlichen Widerständen dabei zu rechnen ist. Doch immer wieder gibt es eine Weiterentwicklung. Die bisherige Entwicklung gibt Hoffnung.

Ich bin nicht in Wien aufgewachsen, sondern erst mit 19 Jahren aus Stockerau zugereist. Große Ballungszentren machten da auf mich einen Eindruck, der mich bald zum Nachdenken veranlaßte. Außer den asozialen Wohnverhältnissen mit ihren vielseitigen traurigen und trostlosen Noten interessierten mich auch spezielle Großflächen der Lustigkeit und der Traurigkeit. Ich meine den Wiener Prater und den Wiener Zentralfriedhof. Bei näherem Studium kam ich bald darauf, daß dort Wesentliches bei elementarer Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses fehlte. Keine Spur von auch nur einigermaßen zugänglichen öffentlichen Bedürfnisanstalten für die Menschenmassen, die dort zusammenströmen. In der Nähe des Riesenrades war je ein Abort für Männer und für Frauen. Bei beiden waren die Menschen in Schlangen angestellt.

Befriedigung elementarer menschlicher Bedürfnisse

Ich bin nicht in Wien aufgewachsen, sondern erst mit 19 Jahren aus Stockerau zugereist. Große Ballungszentren machten da auf mich einen Eindruck, der mich bald zum Nachdenken veranlaßte. Außer den asozialen Wohnverhältnissen mit ihren vielseitigen traurigen und trostlosen Noten interessierten mich auch spezielle Großflächen der Lustigkeit und der Traurigkeit. Ich meine den Wiener Prater und den Wiener Zentralfriedhof. Bei näherem Studium kam ich bald darauf, daß dort Wesentliches bei elementarer Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses fehlte. Keine Spur von auch nur einigermaßen zugänglichen öffentlichen Bedürfnisanstalten für die Menschenmassen, die dort zusammenströmen. In der Nähe des Riesenrades war je ein Abort für Männer und für Frauen. Bei beiden waren die Menschen in Schlangen angestellt.

Zunächst bewunderte ich das geduldige Ausharrungsvermögen der Frauen. Dann ging ich zu ihnen hin und redete auf sie ein, sich selbst zu helfen und hinter ein Gebüsch zu gehen. Speziell an Sonntagen mußten die Frauen bis zu einer halben Stunde warten, bis sie erlöst waren. Am Zentralfriedhof, zu Allerheiligen, hatte ich mehr und schneller Erfolg. Kälte und Nebel halfen mit, daß die Frauen einen behördlich nicht gestatteten Weg zu Befreiung leichter gingen. Zur Behebung eines unmenschlichen Übelstandes schrieb ich an die Behörden. Das wurde nicht ernst genommen.

Fortschritt in kleinen Schritten

1945 war die totale Zerstörung des Praters eine Chance für den Fortschritt. Für den Aufbau eines modernen Praters gründete die Gemeinde Wien im Verein mit den Praterbudenbesitzern eine Praterbetriebsgesellschaft. Ein damals schon bekannter Filmarchitekt hatte in kürzester Zeit ein neues Praterkonzept erarbeitet, er setzte sich bei der neuen Gesellschaft durch. Präsident der Gesellschaft war Vizebürgermeister Honay, als Stadtrat für Kultur und Volksbildung war ich Vizepräsident und konnte den Architekten Kunz für geräumige menschenwürdige sanitäre Anlagen begeistern. Freilich habe ich mir das aufgrund meiner bisherigen Recherchen noch viel großzügiger vorgestellt. Immerhin gelang etwas, was bisher vernachlässigt war, die neuen Anlagen wurden deutlich sichtbar und einladend gleich beim Eingang des Praters gebaut.

Auch beim sonst so großen kommunalen Fortschritt wie beim sozialen Wohnbau schon in den zwanziger Jahren habe ich mich – ohne jede Kompetenz – eingemischt. In einer Audienz beim damaligen Finanzstadtrat Hugo Breitner, der aus der Bankwelt kam und außerdem ein musischer Mensch war, kritisierte ich, daß bei dem so fortschrittlichen Sozialbau auf drei damals technisch schon entwickelte Errungenschaften verzichtet würde: auf Zentralheizung, Lift und Badewanne oder Dusche. Breitners Einwendungen gingen dahin, daß jeder Wohnbauschilling, den er sich in Form einer eigenen Steuer von den reichen Leuten holte, weshalb er nicht wenig beschimpft wurde, zunächst ausschließlich für unmittelbare Wohnfläche verwendet werden müsse. Für mich war das eine Niederlage. Aber ich verschmerzte sie, als ich sah, daß wenigstens keine Gangklos für zehn und mehr Parteien gebaut wurden. Jeder Sozialwohnungsinhaber bekam das Recht auf ein privates stilles Örtchen. Nach meinen Begriffen war es zwar etwas klein. Doch nach der langen Schande und nach einem grauenhaften hygienischen Mißstand hat sich ein Weg in eine bessere, kleine, aber feine Zukunft angebahnt.

Der Kleiderhaken am Klo

Soziale Hygiene ist ein weiteres Stichwort in dem für mich immer wieder bedeutsamen Klokomplex. Das gilt nicht nur fürs private Klo, das auch heute noch vielfach zum Besenkammerl und Abstellraum für vielerlei Graffelzeug mißbraucht wird, weshalb da längst eine radikale Entrümpelungsaktion fällig wäre. In öffentlichen Kloanlagen beanstande ich seit langem, daß auf der Innenseite der Häusltür ein Haken fehlt. Im Winter werden Bedürfnisanstalten von Menschen besucht, die dicke Mäntel, wärmende Pelzmäntel tragen. Das hindert bei der Bedürfnisbefriedigung. Ein gesund und natürlich denkender Mensch hat da auch das Bedürfnis, die winterliche Überkleidung abzulegen. Ein Haken dafür ist für einen sozialen Designer eine Selbstverständlichkeit. Dafür aber gibt es noch keine gesetzliche Bestimmung in der Bauordnung. Ich erinnere mich, daß ich z.B. der Leitung des Künstlerhauses jahrelang zugeredet habe. Endlich kam der Erfolg. Im Jahr der Großausstellung "Traum und Wirklichkeit" waren die helfenden Haken vorhanden.

Form ist kein Aufputz für den Inhalt

Ich erinnere mich an einen Küchenwettbewerb in der Ersten Republik, der von der Stadt Wien initiiert war. Die junge Architektin Grete Schütte-Lihotzky hat ihn gewonnen. Das war in einer Zeit, als die meisten Küchen stinkenden Höhlen eher glichen als Vorbereitungsstätten für köstliche Nahrung. Schütte-Lihotzky kann wenigsten im hohen Alter erleben, wie ihre durch lange Zeit unbedankte Pionierarbeit vollwertig anerkannt wird.

Seit Jahrzehnten sammle ich vielerlei. Die meisten Sammlungen habe ich wieder aufgegeben. Unter wenigen habe ich mich auf den Hahn zurückgezogen: wie vielfältig sich dieses Tier in Bild, in der Abbildung, in der freien Gestaltung, in Formen und Farben entwickelt hat. Im wahrsten Sinn des Wortes hat der Hahn einen Formenreichtum in unendlicher Fülle. Wer genauer hinschaut, kann versinken in der zahllosen Unendlichkeit der Formen. Hier herrscht ein Nebeneinander der Formen, das von der Natur herkommt und die Kunst anregt und das Handwerk, Volks- und Hochkunst befruchtet, gestern, heute und morgen. Formung und Gestaltung sind wandelbar. Aber Form ist kein Aufputz für den Inhalt. Eigentlich ein endloses Thema ...

Bleibt Vorbild!

Vieles, vielleicht das allermeiste, was not tut, ist heute noch für das Soziale Design-Denken und -Planen Traum. Ich war daher, als ich vom Institut für soziales Design Kenntnis erhielt, begeistert, und zwar im besonderen für seine Struktur. Da haben sich mehrere Leute in Wien zusammengefunden, die eine Lücke, vielleicht sogar ein Riesenloch entdeckt haben: in den Sozial-, Wirtschafts- und Kulturbereichen der Planung, die sich längst zur Aufgabe verschiedenartigster öffentlicher, halböffentlicher und privater Natur entwickelt hat. Beim Design geht es in erster Linie um die Form, um die Gestaltung, um die immer bessere, um die menschlichere, den bedürftigen Menschen angepaßte Formulierung, die niemals Selbstzweck ist, kein l'art pour l'art, sondern immer inhaltsbezogen, die erst dem Inhalt seinen höheren Wert gibt.

Jeder der echt kameradschaftlich zusammenarbeitenden Sozialdesigner kommt aus einem Beruf, in dem er von der Pike auf zu Hause ist, der ihn befriedigt und auch ernährt. In ihrer Freizeit machen sie, was sie sich als zusätzliche Aufgabe als soziale Menschen gesetzt haben. Sie bringen jeder was Eigenes mit, sie haben ihre eigenen Meinungen und Vorschläge, die sie dann nach gründlichem Austausch öffentlich offerieren.

Ihr, liebe Freunde, seid gleichberechtigt in Eurem Unternehmen, aber es kann jeder den anderen übertrumpfen, ohne daß einer gekränkt ist, weil die Idee vom anderen kommt. Ein Unterschied, wenn man das mit den oft starren Formen der Hierarchie der Ämter vergleicht. Daß Ihr eigentlich keinen Profit macht, kann einem Außenseiter wie mir nur imponieren. Geht das überhaupt über Jahre? Zumindest eine zeitlang ist es schon gegangen. Mir gefällt Eure Risikofreude. Daß Ihr das schon ein Jahrzehnt durchhalten konntet, ist für mich nicht nur ein Hinweis darauf, daß es geht, sondern auch ein Beweis, daß Soziales Design notwendig, unentbehrlich ist. Bleibt Vorbild!